Peter Tribus: Rituale des Friedens

Seit nunmehr zehn Jahren, immer am ersten Sonntag im September veranstaltete Peter Tribus am Timmelsjoch eine performative Aktion, in deren Rahmen eine in Schütttechnik bemalte farbige Leinwand von 25 Metern Länge im Niemandsland an der Grenze zwischen Italien und Österreich ausgelegt wurde, sodass die Hälfte der Leinwand auf italienischer Seite und die andere Hälfte auf österreichischer Seite lag. Das Werk überschritt und verband gleichzeitig die politische Grenze zwischen den beiden Staaten in einem symbolischen Akt der Vereinigung, der Gemeinschaft und des friedlichen Miteinander. Das Projekt entwickelte sich aufgrund einer erstmaligen Begehung dieses Ortes durch Peter Tribus wenige Tage nach den Ereignissen des 11.September 2001, welche maßgeblich sowohl die inhaltliche Botschaft wie auch die performative Vorgehensweise des Künstlers prägten. Die Aktion wurde in Form eines Happenings als öffentliches Ereignis angelegt, Peter Tribus lud dazu Freunde, Bekannte und Interessierte ein, mit ihm gemeinsam den Weg zum Timmelsjoch zu unternehmen, und eine stets wachsende Gruppe an Personen begleiteten und verfolgten von Jahr zu Jahr das Ereignis und wurden in dessen Rahmen zu Beteiligten und letztlich zu Botschaftern der Mission des Künstlers, nämlich durch diese gemeinsame kulturelle Handlung einen Friedensgedanken nach außen zu senden.In solchen Aktionen wird die Kunst nicht auf das materiell Fassbare beschränkt, die ausgebreitete Leinwand diente vielmehr als Ausgangsmoment für einen künstlerischen Akt, der erst durch seine diversen Handlungen, Performances und Riten zu seiner vollen Ausformulierung und Bedeutung gelangte.

Nach gemeinsamem Auslegen der großformatigen Leinwand wurde diese ein Jahr lang den Elementen der Natur am Timmelsjoch überlassen, dem Regen und Schnee, dem Wind, der Sonne und der Erde, welche in vielerlei Hinsicht gestalterisch auf das Artefakt einwirkten, ihm einiges wegnahmen, es bleichten, auswuschen, teils sogar löcherten, ihm aber auch einiges hinzufügten, indem Erde, Steine, Holz und anderes Material die Oberfläche der Leinwand in ihrer Materialität und Farbigkeit ergänzten. Ein Jahr später kehrte der Künstler wieder an diesen Ort zurück, und vervollständigte im Rahmen eines Festes und anhand von rituellen Handlungen die künstlerische Aktion.

In einem mehrteiligen performativen Akt der inneren Sammlung und Meditation sowie der Beteiligung des Publikums unter Anleitung und Regie des Künstlers wurde eine Atmosphäre mentaler Intensität geschaffen, die das Werk von Peter Tribus als komplexes Gefüge an Zeichen und Symbolsystemen definiert, und dem Gesamtwerk über seine materiell fassbare Realität hinaus einen ideellen und religiösen Charakter verleiht. Jede der teilnehmenden Personen war aufgerufen, einen Satz, eine paar Gedanken oder ein Gedicht zum Thema Frieden auf die Leinwand zu schrei- ben, und sich anschließend mit einer Schere ein Teilstück der Leinwand auszuschneiden. Dieses wurde vom Künstler mit seiner Unterschrift und einem gestempelten Kreuzes-Symbol signiert und den Menschen mitgegeben, welche es als Friedensbotschaft mit sich nach Hause nahmen. Durch den Akt des Hinaustragens dieser materiellen Zeugnisse vom Ort des Geschehens in eine erweiterte Realität wurde der Anspruch des Künstlers, ein friedliches Miteinander im menschlichen und gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern, vervollständigt.

Der Ort Timmelsjoch hat sich in den letzten Jahren durch die kulturellen Handlungen von Peter Tribus und anderen Künstlern zu einem Natur-Kultur-Raum verdichtet, dessen Bedeutung durch neues Sehen und Erkennen eine neue zeitliche wie auch inhaltliche Definition erfahren hat und somit zu einem unverwechselbaren Ort wurde. Das Timmelsjoch ist sehr stark von den Mächten der Natur geprägt, dem Wind und den Wettern ausgesetzt, und besitzt gleichzeitig eine klare kulturelle Prägung, einerseits im politischen Sinne als Ort der Grenze, und andererseits durch seine Neudefinition in den letzten Jahren als symbolischer und kultureller Ort der Begegnung. Der Begriff der „Orientierung“ bekommt in diesem Zusammenhang eine mehrfache Bedeutung. Neben jener der topographischen Weisung (Ort der Grenze, Norden-Süden, Berg-Tal, etc.) umfasst der Begriff auch eine Wert-Ausrichtung hin zu einer Ethik des Zusammenlebens und des Friedens. Die Ethik als Wertausrichtung weist solcherlei Kunst-Orten eine besondere Aufgabe zu, nämlich als soziale bzw. sinnstiftende Räume in der Natur sowie als Orientierungspunkte, als Koordinaten einer kulturellen Gemeinschaft.